Bunte Gesellschaft

Wildgänse in Duisburg und Umgebung

Bunte Gesellschaft

Der kanadische Spielfilm „Amy und die Wildgänse“ von William Lishman hat den alljährlichen Vogelzug der Wildgänse 1995/1996 in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit gerückt. Und genau einen solchen Zug der Wildgänse gibt es alljährlich auch hier, und zwar im Nordwesten des Ruhrgebiets. Von Duisburg aus zieht entlang des Rheins ein großes, geschlossenes Wildgänse-Überwinterungsgebiet bis hinauf zu Nordseeküste. In der letzten Wintersaison 2014/15 waren es zu manchen Zeitpunkten weit über 100.000 Tiere.
Blässgänse, Saatgänse, Nonnengänse, Zwerggänse, Kurzschnabelgänse, und ganz selten auch mal Rothalsgänse fliegen jedes Jahr im Herbst einen mehrere Tausend Kilometer weiten Weg von ihren sommerlichen Brutgebieten in Grönland, auf Island, der skandinavischen Arktis und Sibiriens an den im Winter vergleichsweise warmen Niederrhein. So entrinnen sie der harten Winterkälte, die von Oktober bis April in ihren arktischen Brutgebieten herrscht.
Aber auch im Sommer, oder besser gesagt, das ganze Jahr hindurch leben Gänse im und am Ruhrgebiet: Jäger hatten Graugänse schon in den 1960er und 70er Jahren am Niederrhein und im Münsterland für die Gänsejagd als Brutvogel angesiedelt.
Kanadagänse, Streifengänse, Rostgänse und Nilgänse kamen als entflohene Ziervögel hinzu, seit einigen Jahren sogar eine Gruppe Schneegänse. Es sind allesamt sogenannte „Neozoen“. Das sind in diesem Falle Gänsearten, die ursprünglich nur auf anderen Kontinenten lebten, wie die Namen „Nilgans“ und „Kanadagans“ schon vermuten lassen. Sie wurden von dort irgendwann als Ziervögel importiert. Mit den Jahren büchsten immer mehr von ihnen aus und verwilderten erfolgreich. Nun sind sie zusammen mit den ursprünglich heimischen Wildgänsen hier – und werden hier auch bleiben.
Damit gibt es im Winter im Nordwesten des Ruhrgebiets also mehr als zehn verschiedene Arten wildlebender Gänse. Im Sommer sind es mit Graugans und den Neozoen immerhin noch rund die Hälfte. Und drei davon, Grau-, Kanada- und Nilgänse sitzen mittlerweile an sehr vielen innerstädtischen Parkteichen und auf den Wiesen und Weiden entlang der Ruhr- und der Lippeauen. Das Ruhrgebiet ist dadurch auch ein Gänseland geworden!

Die Besondere

Blässgänse sind echte europäischen Wildvögel, genauer gesagt: Skandinavier und Sibirier – und Niederrheiner auf Zeit. Im Winterhalbjahr, zwischen Ende Oktober und Mitte März tauchen sie nach mehreren Etappen Langstreckenflug bei uns am Nordwestrand des Ruhrgebiets auf. Von der Duisburg-Walsumer Rheinaue erstreckt sich ihr Überwinterungsgebiet über Wesel, Emmerich und weiter in die Niederlande hinein bis hinauf zur Nordsee. Daher haben Deutschland und Nordrhein-Westfalen eine besondere Verantwortung für die Erhaltung der Blässgänse. Alle Wildgansarten genießen sogar den Schutz der Europäischen Union. Die EU-Vogelschutzrichtlinie (Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979) verordnet ihren Mitgliedsstaaten, also auch Deutschland, dass die Jagd auf diese Tiere verboten ist. Zudem muss die Nahrungsgrundlage der Blässgänse, das grüne Gras auf den Wiesen und Weiden, dauerhaft erhalten bleiben! Damit das funktioniert, bekommen Landwirte in NRW Geld aus Brüssel, damit sie ihre Wiesen und Weiden nicht in Ackerland verwandeln. Der Hintergrund ist, dass sich die Massen von Wildgänsen im skandinavischen und sibirischen Brutgebiet auf riesigen Flächen verteilen. Wenn aber – ohne Jagdeinschränkung – im Ruhrgebiet auch nur einhundert Gänse pro Jahr dem Bleischrot zum Opfer fielen, wären in der Folge in Skandinavien und Sibirien hunderte von Quadratkilometern Gänse-leer. Und kein Polarfuchs, keine Raubmöwe hätte dort Beute für die eigenen Jungen.

Die Zugezogenen

Die mittlerweile hier wildlebenden Gänse aus Kanada, vom Nil oder die mit der rostigen Farbe und den Streifen aus Asien haben sich Nischen gesucht, die von den hier heimischen Arten kaum oder gar nicht besetzt waren. Die Rabiate unter ihnen verursacht Probleme. Es ist die Nilgans, sie verdrängt in der Tat einige andere Brutvögel, aber bis jetzt, ohne deren Bestand insgesamt zu gefährden. Die soziale unter ihnen ist die Kanadagans. Ihr Motto: Niemals alleine; je grösser die Sippe, desto besser. Deswegen ist sie oft ein Ärgernis auf den Liegewiesen in Stadtparks und an Strandbädern der Baggerseen. Denn sie frisst nicht nur das Gras, sondern gibt der jeweiligen Wiese das verdaute Gras auch wieder zurück…
Streifen- und Rostgans fallen hingegen kaum auf, sie sind einfach da und stören niemanden. Und die nordamerikanischen Schneegänse? Diese erst kürzlich Angekommenen kennt noch fast niemand, konkrete Aussagen über deren Auswirkungen können noch nicht getroffen werden.

Milch hilft

Diese mehr als zehn Gänsearten kommen bestens mit den natürlichen Bedingungen unserer Kulturlandschaft zurecht. Vor allem den Neozoen aus Kanada, vom Nil oder aus Asien, reichen die Bedingungen der Ruhr- und Lippeauen, Stadtparks oder Baggerseen zum Leben aus.
Doch den „Ur-Europäern“ aus Grönland, Island, Skandinavien und Sibirien reicht das nicht. Sie sind anspruchsvoller und brauchen die weiten Wiesen und Weiden der Rheinauen vom Unteren Niederrhein bis hinauf zur niederländischen Nordseeküste. Diese Wiesen und Weiden sind klassisches mitteleuropäisches Bauernland und dienen der traditionellen Milchviehwirtschaft. Aber genau die ist heute auf dem Weltmarkt nur noch schwach konkurrenzfähig, deswegen muss sie aus Brüssel subventioniert werden. Aber fielen die unterstützenden Gelder weg, mit denen die nordrhein-westfälischen Bauern heute aus Brüssel unterstützt werden müssen, blieben von den zehn bis zwölf Gänsearten mit hoher Wahrscheinlichkeit nur noch vier bis fünf Arten übrig. Und das ist kulturell gesehen traurig; denn mit Ausnahme der Graugans wären das nur noch die vergleichsweise anspruchslosen Neozoen aus Kanada, USA, Afrika und Asien. Es wäre das Aus für Blässgänse, Saatgänse, Nonnengänse, Zwerggänse und Kurzschnabelgänse. Das wäre dann aber nicht nur „traurig“ sondern es hätte für die weltweite Biodiversität ernste Folgen; denn mit dem Wegfall mitteleuropäischer Überwinterungsgebiete wären die Wildgänse von Grönland bis Sibirien ausgedünnt oder verschwänden ganz. Und mit ihnen auch auf großer Fläche die von ihnen abhängigen Prädatoren wie Schneeeule, die arktische Raubmöwe Skua und vermutlich auch der Polarfuchs.
Doch es gibt ein einfaches Gegenmittel: In den Supermärkten Milch, Butter und Käse aus der Region kaufen. Und den Sonntagsbraten vom guten, regionalen Metzger. Das erhält die Weiden im Bauernland und damit die Flächen auch für die arktische Blässgans!

 

Text: Peter Schütz
Alle Bilder: © Wildes Ruhrgebiet – Peter Schütz, Dirk Vorbusch, Alexander Krebs